Montag, 1. März 2021

Milchfieber

In letzter Zeit habe ich mich vermehrt mit dem DCAB (Dietary Cation Anion Balance) beschäftigt; mehr theoretisch, die praktische Umsetzung in der Fütterung ist eher ein mittelfristiges Projekt.
Da ich dazu im Kuhblog zwei Posts schreiben wollte kommt ein dritter noch dazu, denn nicht alle Kuhblogleser haben aus dem Stehgreif die ganzen Zusammenhänge parat wenn ich mit "Milchfieberprophylaxe" anfange.

Milchfieber ist eine Erkrankung die bei Kühen unmittelbar nach der Abkalbung auftreten kann, daher auch der präzisere Begriff Gebärparese. 
Grund dafür ist ein zu niedriger Calciumspiegel im Blut. Die Muskelfilamente brauchen für ihre Bewegungen bei der Muskelkontraktion auf molukularer Ebene Calcium. Das betrifft alle Muskeln. Wenn nach der Kalbung bei einer Kuh die Milchbildung beginnt erhöht sich sprunghaft der Calciumbedarf. Für die 5 - 10 Liter Kolostrum hatte sie über zwei Wochen Zeit, nach der Kalbung stellt der Körper aber auf zunächst so 30 Liter täglich um. Der Calciumbedarf steigt in der Größenordnung von 40 auf 110 g pro Tag. Auch wenn man calciumreich füttert (Futterkalk) kann sich der Körper nicht schnell genug auf den geänderten Bedarf einstellen und genügend Calcium aus dem Futter absorbieren. Für die Milchbildung wird das Calcium aus dem Blut entnommen bis zu wenig für die Muskeltätigkeit vorhanden ist. Als erstes sind die Muskeln der Beine betroffen und die Kuh fängt an zu schwanken und kann sich nicht mehr auf den Beinen halten bzw. wenn sie liegt nicht mehr aufstehen. Das ist dann das Festliegen, wenn es länger andauert sind zunehmend auch andere Muskeln betroffen bis hin zum Herzmuskel. Unbehandelt ist die Sterblichkeit extrem hoch.
Für das Festluegen gibt es auch andere Ursachen, aber Milchfieber ist die häufigste. 
Behandelt wird es mit einer Infusion von Calcium und Glukose, womit die Kuh meistens nach kurzer Zeit wieder aufstehen kann.

Die gängige Prophylaxemaßnahme gegen Michfieber ist die calciumarme Fütterung in der Transitphase. Mit einem speziellen Trockenstehermineralfutter, das sehr wenig Calcium enthält wir der Calciumgehalt der gesamten Ration soweit abgesenkt, dass die Kuh auf eine effizientere Calciumaufnahme trainiert ist.
Dabei läuft folgender Regelmechanismus ab: Bei niedrigem Calciumgehalt im Blut bildet die Nebenschilddrüse Parathormon, das die Mobilisierung von Calcium aus den Knochen bewirkt und in der Niere die Aktivierung von Vitamin D, das eine bessere Calciumaufnahme im Darm durch mehr Calciumtransporter in der Darmwand bewirkt.
Im Gegensatz dazu bildet bei hohem Calciumgehalt im Blut die Nebenschilddrüse Calcitonin, das die Einlagerung von Calcium in die Knochen bewirkt.
Die calciumarme Fütterung bringt die Kuh in einen leichten Calciummangel und sie ist dann in der Calciumaufnahme und der -mobilisierung so effizient dass sie zusammen mit der calciumreichen Fütterung nach der Kalbung kein Milchfieber bekommt. 
Gelernt habe ich das damals auf meinem Stammbetrieb Hofgut Neumühle, als mir das einer der Lehrlinge erklärt hat. 13 Jahre später kann ich sagen, dass das echt was fürs Leben war und sowas heute leider keiner unserer Lehrlinge hinbekommen würde...
 
Nach meiner Erfahrung klappt das am besten, wenn die Kuh 13 - 19 Tage lang vor der Kalbung so gefüttert wurde. Kürzer ist der Effekt nicht so hoch, länger verpufft er zunehmend wieder.

Mit dieser Fütterung hat man das Milchfieber gut im Griff, wenn alles mit der Fütterungs rund läuft, z.B. auch mit dem DCAB, dazu dann mehr im nächsten Post.
Die Krankheitsinzidenz von Milchfieber ist recht unterschiedlich, meist kommt es wellenweise, wenn irgendwas mit der Fütterung nicht stimmt. Erstkalbende Kühe sind extrem selten betroffen, weil sie zunächst nur verhalten mit der Milchproduktion starten. Mit dem Alter nimmt die Häufigkeit zu, weil einmal die Leistung der Kühe steigt (siehe auch Post vom 02.09.2020) und ältere Kühe im Darm weniger Calciumtransporter haben.
Ein größeres und häufigeres Problem ist das subklinische Milchfieber, das nicht ausbricht, aber die Kühe trotzdem einen Calciummangel hat mit negativen Auswirkungen z.B. auf die Pansenmuskulatur (als Folge Gefahr von Labmagenverlagerung) und die Gebärmuttermusulatur (Abgang der Nachgeburt). 

Für die Kuhblogleser mit Kühen kann ich Fachliteratur empfehlen:
"DLG - Kompakt: Erfolgreiche Milchfieberprophylaxe" ISBN 978-3-7690-3162-1 und
"Fütterungsempfehlungen für Milchkühe im geburtsnahen Zeitraum" ISBN 978-3-7690-0821-0
Mit dem zweiten habe ich damals in meiner Nachtschicht die Transitfütterung wieder auf die Reihe bekommen (siehe auch Post vom 25.12.2013).

Benjamin

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