Montag, 7. März 2022

Kuhväter und Bullenmütter

Ganz allgemein mal über Rinderzucht. 
Rinderzüchter ist auch ein Teil meines Berufs, aber ich definiere mich weniger als solcher, da die Zucht nur ein Baustein der ganzen Milchkuhhaltung ist. Für den unmittelbaren Erfolg eher klein, langfristig über den Zuchtfortschritt aber sehr groß.
 
Warum Zucht? Zucht ist die Vermehrung von guten Genen in der Population, die gezielte Fortpflanzung von Tieren. Bei der Fortpflanzung werden die Gene neu zusammengewürfelt und über die Zucht werden quasi dafür die Würfel festgelegt.
So kann man die nächste Generation besser machen, sei es langlebiger, weniger Schwergurten oder so Sachen wie die Strichstellung am Euter, das man die Zitzen nicht über dem Melkbecher sortieren muss weil sie zu dicht beisammen stehen.
Da für die allermeisten Merkmale ein genetischer Einfluss besteht kann darauf gezüchtet werden, z.B. DDcontrol, die Anfälligkeit für Dematitis Digitalis (Mortellaro; siehe auch Posts vom 08.10.2015 und 28.10.2015). Dafür sind manche Rinder genetisch anfälliger als andere. Und wenn man nur noch die nicht anfälligen Rinder sich fortpflanzen lässt kann man ganz vereinfacht gesagt das Problem wegzüchten. Rein theoretisch zumindest, weil das lange dauern würde und ein einziges Merkmal nicht sinnvoll ist. 

Grundsätzlich ist die Rinderzucht sehr alt, so wurde schon in der Steinzeit die Hornlosigkeit sehr erfolgreich weggezüchtet weil man die Hörner brauchte um die Ochsen daran anzuspannen. Paar tausend Jahre später züchten wird die Hornlosigkeit aus Tier- und Arbeitsschutzgründen wieder zurück, was ein gutes Beispiel für das Auswählen der Würfel ist.
Die organisierte Rinderzucht begann in Deutschland um 1870 mit der Gründung der Herdbücher, in denen die Zuchttiere eingetragen sind und man so überhaupt erst einen Überblick bekam wie man gute Gene weiterverbreiten kann. Ende des 19. Jahrhunderts kam dann die Milchleistungsprüfung mit der man die Milchleistung als wichtigstes Leistungsmerkmal quantifizieren konnte, in den 1960/70ern dann Zuchtwertschätzung und die Rechenzentren mit der EDV. Und 2010 die genetische Zuchtwertschätzung für alle Rinder vom Embryo an.

Die Zuchtwertschätzung wird für die einzelnen Tiere durchgeführt um zu bestimmen welchen Wert sie für die Verbesserung der nächsten Generation haben. Bei einem Bullen kann man nur indirekt die vererbte Milchleistung über seine Töchter bestimmen. Die Wachstumsleistung dagegen mit der Eigenleistung. Daneben gibt es noch den Pedigree-Zuchtwert anhand der Eltern.
Die heute üblichen genomischen Zuchtwerte basieren auf der Genotypisierung des individuellen Erbguts. Auf dem Genom wurden mit hundertausenden Rindern als Vergleichsreferenz (Lernstichprobe) Abschnitte (SNPs) beststimmt, die Einfluss auf die unterschiedlichsten Merkmale haben. Bei einem Kalb kann dann an diesen Abschnitten nachgeschaut werden welche Varianten vorliegen und der Zuchtwert geschätzt werden. Es wird immer nur geschätzt, weil man ja nie weiß was genau kommen wird. Je nach Merkmal beträgt die Sicherheit der Schätzung aber so 50 - 80 % und das schon wenn das Kalb nur wenige Wochen alt ist bzw. eigentlich schon als Embryo aus wenigen Dutzend Zellen.
 
Rinder haben eine recht geringere Reproduktionsrate; fast immer nur ein Kalb und 9 Monate Tragezeit. Da sind Schweine mit vielen Dutzend und Geflügel mit hunderten Nachkommen viel einfacher zu vermehren.
Daher sind die meisten Kühe auch Kuhmütter, denn aus ihren Kälbern wird wieder die nächste Generation Kühe. Ausnahme sind die Mastanpaarungen, aber das ist trotz der Zunahme in den letzten Jahren weiterhin die Minderheit.
Die Kuhväter sind dagegen nur wenige. Seit sich die künstliche Besamung in den 1950er Jahren durchgesetzt hat kann ein Bulle nicht mehr einige hundert Nachfahren haben sondern viele (Zehn)tausende. Es können so auch die allerbesten Bullen ausgewählt werden, die nicht nur hohe Milchleistung vererben, sondern auch gute Eutergesundheit, die gewünschten Körpermerkmale usw. Für die Population der Deutschen Holsteins sind es pro Jahr vielleicht 600.000 Kuhmütter und 300 Kuhväter als Besasmungsbullen die neu hinzu kommen. Deckbullen kann ich schwer schätzen, vielleicht noch mal 10.000, aber die haben nur so 10 % Anteil auf die Töchter bezogen.
Bullenmütter sind die Kühe aus deren Bullenkälber die Besamungsbullen und Deckbullen werden. Da nicht so viele Bullenmütter gebraucht werden sind die Auswahlkriterien viel strenger. Klassisch ist es für den künftigen Deckbullen die beste Kuh im Stall. Bis in die 2000er hatten die Zuchtorganisation ihren Pool an Bullenmüttern, besonders gute Kühe aus dem ganzen Zuchtgebiet, die dann gezielt angepaart wurden und mit Embryotransfer die nächste Bullengeneration erzeugten. Mit der genomischen Zuchtwertschätzung findet man die guten Kühe schon als Kalb und so sind heute fast alle Bullenmütter bei ihrer Auswahl Färsen. Siehe auch Posts vom 07.02.2015, 14.02.2015, 18.02.2015, 13.03.2015, 06.06.2019 und 11.06.2019.
Die Bullenväter sind die Väter der Bullen, sowohl der Deckbullen als auch besonders der Besamungsbullen und die sind dann auch global gesehen die absolute Spitze.
 
Fortsetzung folgt!

Benjamin

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