Dienstag, 1. Oktober 2019

Grapeliner - Teil 4

Nun der letzte Post über die Weinlese in Rheinhessen.

Eine gute Stunde bin ich selber mit dem Grapeliner im Weinberg gefahren. Mitten in der Reihe ist es recht einfach: Mit Lenkautomatik über die Ultraschallsensoren und Tempomat kann man sich auf die "Arbeitshöhe" und die Seitenneigung der Maschine konzentrieren. Das Umdrehen sind dann aber extrem viele Arbeitsschritte auf einmal. Maschine anheben, Schüttelwerk abschalten, Förderbänder abschalten, auf Rückfahrkamera umschalten, wenden meist mit sehr wenig Platz, wieder auf die Frontkamera umschalten, in die nächste Reihe einfädeln, Maschine absenken, Förderbänder einschalten, Schüttelwerk einschalten. Ob die neueren Modelle eine Art Vorgewendemanagement haben weiß ich nicht.
Die Kameras sind aber eine echte Hilfe, einmal nach hinten beim Wenden, dass man nicht auf der anderen Seite vom Weg etwas umfährt und die vordere, wo man schräg von vorne auf den Einzug sieht und beim Einfahren in die Reihe einen zweiten Blickwinkel hat neben dem Glasboden der Kabine.

In diesem Weinberg wurde die Sorte Regent gelesen, eine Rotweinsorte die als Besonderheit einige Pilzresistenzen hat, also mit einem geringeren Pflanzenschutzaufwand auskommt. Der Ertrag war sehr gut, dürfte an die 200 hl Maische/ha gewesen sein.
Bei 3,5 km/h Fahrgeschwindigkeit, 190 m Reihenlänge und 2 m Reihenabstand dauerte eine Runde hin und zurück inklusive Umdrehen und Auskippen ziemlich genau 9 min; bei mir waren es dann etwas mehr... Macht eine Stundenleistung von 0,5 ha.

Aus der Fahrerperspektive:


















In Rheinhessen dürften über 95 % der Trauben mit dem Vollernter gelesen werden; Handlese gibt es auch bei einigen Weingütern, die damit versuchen über gezielte Auswahl der Trauben am Stock eine höhere Qualität zu erzielen. Dies rechnet sich aber allenfalls als Flaschenwein in der Direktvermarktung.

Für mich ist die Handlese Folklore. 
Gelesen wurde ein Teil eines Weinbergs, der nicht mit dem Vollernter befahren werden kann, weil aufgrund des unregelmäßigen Flächenzuschnitts drei Reihen ineinander zulaufen. Da dachte mein Großonkel bei der Anlage in den 1970ern nicht an die künftigen Vollernter, die nicht nur den Platz zwischen zwei sondern drei Reihen brauchen. Der erste Vollernter - eine Krieger K1 - kam dann zur Saison 1980 und seitdem müssen zwei der drei Reihen weiterhin mit der Hand gelesen werden. 
Es handelt sich um die Rotweinsorte Portugieser, die die häufigste in Rheinhessen ist. Für die 35 Stöcke der beiden Reihen brauchten wir zu viert rund 20 Minuten, der Grapliner hätte es mit Umdrehen trotz der langsamen Geschwindigkeit von 2,5 km/h bei dieser widerspenstigen Sorte in vielleicht zweineinhalb geschafft:





















Zur Vermarktung noch: Der Großteil wird nicht als Wein sondern wenige Tage nach dem Keltern als Saft verkauft. Die Ernte erfolgt meist passend zur Abholung. Die Kellereien als Abnehmer werden über die Weinkommissionen als Händler und Dispatcher für die Speditionen beliefert. Die Kellereien bauen den Wein dann unter ihrem Namen aus und füllen ihn in Flaschen ab. Der Saft darf noch nicht begonnen haben zu gären um den Gärverlauf wie gewünscht steuern zu können, daher werden teilweise mit Schwefeldioxid die Hefen inaktiviert, also steril gemacht ("stumm machen").

Benjamin

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