Jetzt kommt eine kleine Serie die ich schon einige Zeit vor mir herschiebe, weil sie nach und nach doch unfangreicher wurde als zunächst geplant.
Und zwar über die verlängerte Laktation bei Milchkühen.
Seit knapp vier Jahren beschäftige ich mich damit und ab und zu habe ich im Kuhblog auch darüber schon etwas geschrieben und vor allem ist es mittlerweile auch im "Mainstream" der Kuhbauern angekommen.
Die Laktation ist die Zeitspanne in der eine Kuh nach der Kalbung Milch gibt. Bei der Milchkuh beginnt sie mit der Kalbung und endet mit dem Trockenstellen vor der nächsten Kalbung.
Seit Alters her war dabei die Regel "jedes Jahr ein Kalb". Das orientierte sich am Jahresrhythmus des Wildrindes, das dem Vegetationsverlauf folgt. Im Frühjahr werden die Kälber geboren, sodass die Kühe sie in der Zeit säugen wenn das meiste Futter wächst. Wenn im Herbst das Futter knapp wird werden die Kälber abgesetzt und alle Rinder müssen für sich alleine zusehen wie sie über den Winter kommen.
Bei der Rinderhaltung war es für Jahrtausende genauso, wo dann wegen den knappen Futtervorräten für den Winter vorher viele Rinder geschlachtet wurden und quasi in geräucherter/gepökelter Form heim kamen.
Seit der Einführung der Silierung im 19. Jahrhundert wurden die Futtervorräte für den Winter immer größer und heute reichen sie mit der TMR-Fütterung für das ganze Jahr.
Früher und auch heute noch in den niederschlagsreichen Regionen mit ganzjähriger Weidehaltung (Irland, Neuseeland) fordert die Ausrichtung auf den Vegetationsverlauf eine Zwischenkalbezeit von 365 Tagen.
Und mit der Trockenstehzeit von grob überschlagenen 2 Monaten kommt man damit auf die 305-Tage-Leistung als die standardisierte Zeitspanne zum Vergleich zwischen einzelnen Kühen.
Jetzt kommt die Biologie der Kuh ins Spiel. Ganz früh lernt man in der Ausbildung/Studium die Zahl von 500 Liter Blut die für die Bildung eines Liters Milch durch das Euter fließen müssen. Dieses Blut fließt auch durch die Leber als zentrales Stoffwechselorgan, die dabei alles Mögliche abbaut, so auch die darin enthaltenen Sexualhormone die für die Fruchtbarkeit zuständig sind. Daher die Aussage, dass hochleistende Milchkühe ihre Brunsten nicht so lange und deutlich zeigen.
Da gibt es den "amerikanischen Weg" durch die Injektion der jeweiligen Hormone die Brunsten zu verstärken und den "israelischen Weg" mit Sensortechnik die brünstigen Kühe trotzdem zu finden. Wo ich ganz klar die zweite Variante vorziehe.
Die verlängerte Laktation ist eine weitere Möglichkeit. Einfach zu warten, bis die Milchleistung etwas abgefallen ist und die Fruchtbarkeit besser läuft.
Zweiter Punkt ist die Negative Energiebilanz (NEB). Nach der Kalbung steigt die Milchleistung der Kuh an, entsprechend dem Bedarf des wachsenden Kalbes. Die Futteraufnahme steigt auch an, aber nicht ganz so schnell und so entsteht die negative Energiebilanz, wo die Kuh mehr Energie mit der Milch abgibt als sie mit dem Futter aufnimmt. Die Kuh mobilisiert dann Körperfett. Nach einer gewissen Zeit kommt das wieder ins Gleichgewicht und die Kuh setzt dann wieder Fett an. Aber das ist von Kuh zu Kuh sehr unterschiedlich wie lange und stark ausgeprägt die NEB ist.
Dabei stellt die Kuh die Fruchtbarkeit, die auch Energie braucht hinten an. Das aktuelle Kalb ist dann wichtiger als das nächste.
Dritter Punkt ist die Persistenz. Eine hohe Persistenz ist gegeben wenn die Milchleistung der Kuh über die Zeit nur langsam abfällt, ihre Laktationskurve nach der Laktationsspitze langgestreckt verläuft. Da gibt es unter anderem genetische Ursachen und auch hormonelle. Denn bei einer erneuten Trächtigkeit reduziert diese die Milchleistung. Da ist dann das künftige Kalb wichtiger als das aktuelle. Über die Zeit nimmt die Leistung immer stärker ab bis die Kuh sich teilweise selber trockenstellt. Ohne Trächtigkeit kann die Laktationskurve sehr langgestreckt verlaufen, mein gern zitiertes Beispiel ist dafür Gabi, die nach der Kalbung über drei Jahre lang Milch gab (siehe Post vom 07.03.2018).
Vierter Punkt ist die Milchleistung zum Trockenstellen. Bei den heutigen Milchleistungen liegen die Kühe nach 300 Melktagen oft noch bei 25 bis 30 Liter und mehr Milch pro Tag. Zum Trockenstellen müssen sie von dieser Leistung auf null Liter abgebremst werden, was eine hohe Belastung für das Euter ist (vgl. Post vom 24.02.2019). Das Trockenstellen könnte nach hinten verschoben werden, z.B. auf die Leistung von 15 Liter; was aber nur geht wenn die Trächtigkeit noch nicht so weit fortgeschritten ist. Das ist die erste Grafik unten.
Fünfter Punkt ist das Krankheitsrisiko. Kühe sind nach der Kalbung am anfälligsten für Krankheiten. Wegen der negativen Energiebilanz ist das Immunssystem schwächer dazu kommen die Umstellungen für den Stoffwechsel nach der Kalbung mit der Gefahr von Krankheiten wie Milchfieber, Ketose (siehe Post vom 12.08.2019) und Labmagenverlagerung (siehe Post vom 10.11.2019). Dann die Fruchtbarkeitskrankheiten die nach der Geburt auftreten können wie Nachgeburtsverhaltung oder Gebärmutterentzündungen. Zusammen genommen sind die meisten Krankheiten der Kühe innerhalb der ersten 30 Tage nach der Kalbung und damit auch das höchste Risiko abzugehen, d.h. wenn sie die ersten 30 Tage gut übersteht schafft sie es höchstwahrscheinlich auch zur nächsten Kalbung. Wenn man diese riskante Phase(n) im Leben einer Kuh reduziert weil sie seltener in diese kommt wird sie wahrscheinlich auch länger leben.
Als sechster Punkt noch für die gesamte Rinderproduktion gesehen die Reduzierung der Kälber. Über die letzten Jahre ist der Bedarf an Kälber für die Nachzucht als Ersatz für die abgegangen Kühe durch ansteigende Nutzungsdauer und reduzierte Aufzuchtverluste gesunken. Das sieht man vor allem bei der zunehmenden Anpaarung mit Fleischrinderbullen, wovon auch die weiblichen Kälber gemästet werden. Es werden zunehmend mehr Kälber aus der Milchproduktion in die Rindermast "verschoben". Auch wenn ich wegen der Wolfsproblematik mit einem starken Rückgang der Mutterkuhhaltung rechne werden irgendwann mehr Kälber anfallen als die Rindermast nachfragt. Durch die Verlängerung der Laktation kann da die Anzahl der Kälber angepasst werden.
Alle Punkte zusammengefasst sprechen für eine Verlängerung der Laktation. Auf der Grafik unten sie die beiden unteren Reihen der Vergleich von Laktationskurven einer Kuh. Das ist nur beispielhaft, dass niemand das ausmisst und Zahlen darauf ableitet "der Benjamin hat aber gesagt"... Die orangenen Kurven ist eine Kuh die in fünf Jahren jedes Jahr einmal kalbt und eine hohe Jahresleistung erreicht weil sie fünf Laktationsspitzen mitnimmt. Die grünen Kruven sind von einer Kuh die dagegen nur dreimal in fünf Jahren kalbt, aber trotzdem auf die gleiche Milchleistung (oder sogar noch mehr) kommt weil die Laktationskurven länger gestreckt sind und der Anteil der Trockenstehphasen vor der jeweils nächsten Kalbung - in der sie keine Milch gibt - geringer ist:
Fortsetzung folgt!
Benjamin
Ich gehe davon aus, dass sich die verlängerte Laktation in 10 Jahren als Standard etabliert haben wird. Und dann zu den Meilensteinen zählt. Dann sagt man: 1950 künstliche Besamung, 1975 Boxenlaufstall, 1990 TMR, 2010 genomische Zuchtwertschätzung, 2020 verlängerte Laktation.
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