Heute gibt es einen Gastbeitrag meines Bruders zum einem meiner Lieblingsthemen, der verlängerten Laktation. Er hatte mich im Oktober 2016 auf das Thema aufmerksam gemacht und selbst noch mehr Erfahrungen dazu gesammelt.
Die verlängerte Laktation (vLak) wird in den letzten 5 Jahre intensiv diskutiert. Dazu möchte ich meine eigenen Erfahrungen in der kleinen Herde des St. Wendelinhof, dem Lehr- und Versuchsgut der TH Bingen in den letzten 4 Jahren berichten. Im ersten Teil wird dies theoretisch erläutert:
Warum verlängerte Laktation? Ich sehe hier die eindeutigen Vorteile überwiegen, deren Gewicht in Zukunft zunehmen wird. Dies sind insbesondere weniger Kalbungen und damit weniger Kälber.
Die Kalbung und Frühlaktation ist der Peak des Gesundheitsrisiko während der Laktation. Wenn man also durch vLak die durchschnittliche Anzahl der Kalbungen pro Kuhleben bei gleicher Dauer und Lebensleistung reduzieren kann ist dies der größte Vorteil.
Insbesondere durch immer höhere Auflagen im veterinärmedizischen Bereich und Einschränkungen von Arzneimitteln (Stichwort Reserve-Antibiotika) wird dies zukünftig noch weiter an Bedeutung gewinnen. Sowohl den Umfang des Arzneimitteleinsatzes als auch die Arbeitszeit (Stichwort Fachkräftemangel) zur Behandlung von Kühen (Special Needs) dürfte bei einer normalen Laktationslänge (also ZKZ von 365-385 d) künftig nicht mehr so einfach leistbar sein.
Man kann davon ausgehen, dass ein kostendeckender Absatz von Zuchtvieh auch in Zukunft nicht mehr möglich sein wird. Zu den Kosten kommt der immer weiter einengende Absatzmarkt. Drittlandsexporte sind kaum noch möglich, Sanktionen schließen Märkte aus bzw. Auflagen zu Transportrouten und -zeiten sind kaum wirtschaftlich umsetzbar. Eine Produktion für den Export ist daher ein Auslaufmodell. Verkauf von Zuchtvieh für Inlandsmärkte ist sehr zyklisch und preislich volatil, tendenziell wird sich dies auch verstärken. Ein durchschnittlicher oder guter Betrieb braucht kein Zuchtvieh. Die unterdurchschnittlichen Betriebe werden die nächsten Jahre nicht überstehen, sowohl wirtschaftlich als auch politisch (weitere Auflagenverschärfungen). Zuchtviehverkauf wird ein Nischenmarkt für Spezialisten werden.
Die Zeiten alle Kühe mit Holstein-Sperma zu belegen und die „überschüssigen“ Färsen zu verkaufen klappt in Zukunft nicht mehr. Auch nicht die Variante, gute Kühe und Jungvieh weiblich gesext besamen und der Rest mit Fleischrasse (evtl. auch männlich gesext). Diese von den Zuchtverbände beworbene Strategie, die die Anzahl der Holstein-Färsen in der Gesamt-Anzahl nicht reduziert, bringt dem Betrieb faktisch nur etwas auf dem Gebiet Zuchtfortschritt, da auch auf der weiblichen Seite selektiert wird. In Summe verdient vor allem der Zuchtverband über gesextes Sperma und Zuchtviehvermarktung. Ein guter Betrieb der nur Holstein-Sperma einsetzt (nicht einmal gesextes!), das komplette Jungvieh aufzieht, alle Färsen abkalben lässt und als Jungkühe vermarktet, hat eine jährlich ansteigende Abkalberate. Innerhalb von 10 Jahren von 120% auf 140%. Anstatt 250 Jungkühe/1.000 Kühe müssten dann 320 Jungkühe vermarktet werden, wenn man 25% Bestandersatzrate annimmt. Wird das komplette Jungvieh mit gesextem Sperma besamt (Annahme 70% der Färsenkalbungen sind weiblich) wären es schon 540 Jungkühe! Dies ist nicht leistbar! Wir produzieren nachhaltig Milch und kein Zuchtvieh (für nicht vorhandene Märkte).
Daher geht für mich die vLak mit einer gezielten Selektion auf der Kuh-Seite einher. Die Strategie für die Zucht nicht benötigte Kühe mit Fleischrassen zu belegen ist nur ein mittelfristiges Ausweichen, denn durch den sinkenden Fleischkonsum wird auch die Nachfrage nach Hybrid-Kälbern zurückgehen. Es ist daher Ziel nicht nur weniger Holstein-Kälber zu produzieren, sondern insgesamt weniger Kälber. Hier ist es dann sinnvoll in bisher absolut unrelevanten Kennzahlen wie z.B. kg Milch pro Kalb u.ä. zu rechnen. In Zukunft wir es eine Verschiebung auf die Milchproduktion und die bedarfsgerechte, maßgeschneiderte Nachzucht geben, weg von der Überschuss-Produktion an Holsteinkälbern (weiblich und männlich).
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