Montag, 8. August 2022

Gastbeitrag zur verlängerten Laktation - Teil 1

Heute gibt es einen Gastbeitrag meines Bruders zum einem meiner Lieblingsthemen, der verlängerten Laktation. Er hatte mich im Oktober 2016 auf das Thema aufmerksam gemacht und selbst noch mehr Erfahrungen dazu gesammelt.

In der Herde der TH Bingen ist er alleine für die Fruchtbarkeit zuständig und besamt auch die Färsen und Kühe. Da fällt die Verlängerung der freiwilligen Rastzeit leichter als bei uns, wenn da mehrere Leute mit zu tun haben.
Und da er mir doch oft von Kühen erzählt hat, die er erst mit 150 Tagen bei  der sechsten Brunst besamt hat und gleich einen Erstbesamungserfolg gaben, bat ich ihn mal darüber einen Gastbeitrag für meinen Kuhblog zu schreiben. 

Das könnte eigentlich Eins zu Eins für die Tierzuchtvorlesung übernommen werden:

Die verlängerte Laktation (vLak) wird in den letzten 5 Jahre intensiv diskutiert. Dazu möchte ich meine eigenen Erfahrungen in der kleinen Herde des St. Wendelinhof, dem Lehr- und Versuchsgut der TH Bingen in den letzten 4 Jahren berichten. Im ersten Teil wird dies theoretisch erläutert:
Warum verlängerte Laktation? Ich sehe hier die eindeutigen Vorteile überwiegen, deren Gewicht in Zukunft zunehmen wird. Dies sind insbesondere weniger Kalbungen und damit weniger Kälber.
 

Die Kalbung und Frühlaktation ist der Peak des Gesundheitsrisiko während der Laktation. Wenn man also durch vLak die durchschnittliche Anzahl der Kalbungen pro Kuhleben bei gleicher Dauer und Lebensleistung reduzieren kann ist dies der größte Vorteil.
Insbesondere durch immer höhere Auflagen im veterinärmedizischen Bereich und Einschränkungen von Arzneimitteln (Stichwort Reserve-Antibiotika) wird dies zukünftig noch weiter an Bedeutung gewinnen. Sowohl den Umfang des Arzneimitteleinsatzes als auch die Arbeitszeit (Stichwort Fachkräftemangel) zur Behandlung von Kühen (Special Needs) dürfte bei einer normalen Laktationslänge (also ZKZ von 365-385 d) künftig nicht mehr so einfach leistbar sein.

Man kann davon ausgehen, dass ein kostendeckender Absatz von Zuchtvieh auch in Zukunft nicht mehr möglich sein wird. Zu den Kosten kommt der immer weiter einengende Absatzmarkt. Drittlandsexporte sind kaum noch möglich, Sanktionen schließen Märkte aus bzw. Auflagen zu Transportrouten und -zeiten sind kaum wirtschaftlich umsetzbar. Eine Produktion für den Export ist daher ein Auslaufmodell.
Verkauf von Zuchtvieh für Inlandsmärkte ist sehr zyklisch und preislich volatil, tendenziell wird sich dies auch verstärken. Ein durchschnittlicher oder guter Betrieb braucht kein Zuchtvieh. Die unterdurchschnittlichen Betriebe werden die nächsten Jahre nicht überstehen, sowohl wirtschaftlich als auch politisch (weitere Auflagenverschärfungen). Zuchtviehverkauf wird ein Nischenmarkt für Spezialisten werden.
Die Zeiten alle Kühe mit Holstein-Sperma zu belegen und die überschüssigen Färsen zu verkaufen klappt in Zukunft nicht mehr. Auch nicht die Variante, gute Kühe und Jungvieh weiblich gesext besamen und der Rest mit Fleischrasse (evtl. auch männlich gesext). Diese von den Zuchtverbände beworbene Strategie, die die Anzahl der Holstein-rsen in der Gesamt-Anzahl nicht reduziert, bringt dem Betrieb faktisch nur etwas auf dem Gebiet Zuchtfortschritt, da auch auf der weiblichen Seite selektiert wird.
In Summe verdient vor allem der Zuchtverband über gesextes Sperma und Zuchtviehvermarktung. Ein guter Betrieb der nur Holstein-Sperma einsetzt (nicht einmal gesextes!), das komplette Jungvieh aufzieht, alle Färsen abkalben lässt und als Jungkühe vermarktet, hat eine jährlich ansteigende Abkalberate. Innerhalb von 10 Jahren von 120% auf 140%. Anstatt 250 Jungkühe/1.000 Kühe müssten dann 320 Jungkühe vermarktet werden, wenn man 25% Bestandersatzrate annimmt. Wird das komplette Jungvieh mit gesextem Sperma besamt (Annahme 70% der Färsenkalbungen sind weiblich) ren es schon 540 Jungkühe! Dies ist nicht leistbar! Wir produzieren nachhaltig Milch und  kein Zuchtvieh (für nicht vorhandene Märkte).


Daher geht für mich die vLak mit einer gezielten Selektion auf der Kuh-Seite einher. Die Strategie für die Zucht nicht benötigte Kühe mit Fleischrassen zu belegen ist nur ein mittelfristiges Ausweichen, denn durch den sinkenden Fleischkonsum wird auch die Nachfrage nach Hybrid-Kälbern zurückgehen. Es ist daher Ziel nicht nur weniger Holstein-lber zu produzieren, sondern insgesamt weniger Kälber. Hier ist es dann sinnvoll in bisher absolut unrelevanten Kennzahlen wie z.B. kg Milch
pro Kalb u.ä. zu rechnen. In Zukunft wir es eine Verschiebung auf die Milchproduktion und die bedarfsgerechte, maßgeschneiderte Nachzucht geben, weg von der Überschuss-Produktion an Holsteinkälbern (weiblich und männlich). 
 
Daher ist die vLak in ein zuvor festgelegtes Kennzahlen-System für die Nachzucht und Fruchtbarkeit einzuplanen. Das wäre z.B. in einem fiktiven 1.000er-Betrieb:  
 
Merzungsrate: 20 % 
Selektionsanteil Zuchttiere: 30 % (nach genomischen Zuchtwerten) bis 90d 
Totgeburtenrate: Kühe < 2,5%, Färsen < 4 % 
Aufzuchtverluste 90d: < 3,0 % 
Abgänge 90d bis 1. Kalbung: < 5,0 % (inkl. Fruchtbarkeitsselektion!) 
Mit diesen Zahlen ergibt es im Beispiel: 
geplante Zwischenkalbezeit: 450 d 
50 % des Jungviehs (bessere Hälfte nach genomischen Zuchtwerten) wird gesext erstbesamt 
40 % der Kühe (schlechteste 40 % nach genomischen Zuchtwerten) werden mit Fleischrassen besamt 
10 % der Jungkühe werden normalerweise in der Frühlaktion verkauft (Produktionsselektion bzw. Reserve) 
 
Dies ergibt dann ca. 200  Jungkühe pro Jahr (entspricht der Merzungsrate), 25 verkauften Jungkühen, etwa 10 selektierten Färsen und 100 selektierten Holstein-Zuchtkälbern (oder auch für Färsenmast). 
Dazu kommen 275 Holstein-Bullenkälber, 270 Hybrid-Mastkälber und 45 Zwillingskälber. 
 
Solche Zahlen zeigen eine theoretische Planung, wie genau dies dann praktisch abläuft kann man nur schwer abschätzen. Jedoch haben heute die meisten Betriebe Schwierigkeiten Zahlen zu nennen, wie viele Zuchtkälber, Bullenkälber und Hybrid-Mastkälber sie für das nächste Jahr planen. Meist wird munter drauf losbesamt und geschaut was zahlenmäßig dann zusammenkommt. 
Wenn eine genaue Zahl an Zuchtkälbern und damit dann zukünftigen Jungkühen geplant und bekannt ist (natürlich inkl. Reserve) fällt der Abgangsgrund nachrückende Jungkuh bei den Altkühen weg. Dadurch steigt schon alleine ohne irgendwelche Managementänderungen die Nutzungsdauer an und sinkt die Merzungsrate.
 
Fortsetzung folgt!
 
Benjamin

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